Merk-Würdig

(Salzburg, 09.09.2021) Den Geschmack mancher Weine vergisst man nie, den Ort des Genusses – wenn emotional berührt – auch nicht. Ihr Name und der des Weinguts können aufgrund der enormen Vielfalt aber sehr wohl in Vergessenheit geraten. Winzer werden daher zunehmend erfinderisch. Warum sollte man eine Cuvée nicht nach einem Reich des Bösen benennen, warum nicht einen Grauburgunder nach einer oder vielmehr keiner Frisur? Ich habe bei sechs Winzern angeklopft und mir die Geschichten ihrer merkwürdigen Weinnamen angehört.

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MORDOR SCHEIBLHOFER

Wer „Herr der Ringe“ kennt, weiß, wo Mordor liegt: in Mittelerde. Aus dem Mittelburgenland kommen die Trauben für Acheiblhofers rote Cuvée aus Merlot, Syrah, Cabernet Sauvignon und blaufränkisch.

Im Reich des Bösen Sauron

In der fiktiven Welt von Tolkiens Mittelerde ist Mordor das Reich des bösen Sauron. Mittendrin steht der Schicksalsberg, dessen Lavaströme die Gegend immer wieder neu formen. Ob er „Herr der Ringe“ gelesen habe, möchte ich von Erich Scheiblhofer wissen. Immerhin prangt auf dem Etikett einer seiner Weine der Name „Mordor“. „In meiner Bibliothek stehen ,Der Fänger im Roggen’ und ‚Bahnwärter Thiel’. Das dürfte deine Frage beantworten.“ Er sei ein Blockbuster-Fan, habe die Trilogie unzählige Male in bewegten Bildern gesehen. Dass er seinen Wein, dessen Trauben im Mittelburgenland wachsen, nach einer Region in „Mittelerde“ benennt, sei nur logisch gewesen. Selbst die Lava findet man in diesem Wein, einer feurigen, kernigen, tanningeprägten Cuvée aus u. a. Merlot und Cabernet: „Wenn du in den Rotweingärtank schaust, siehst du diese dunklen, fast schwarzen Schalen, die sich fermentieren und Kohlensäure freisetzen. Das hat etwas Vulkanartiges.“ Andere Tannine, andere Fruchtparameter: Scheiblhofers „Mordor“ – die Trauben werden von Partnerbetrieben produziert – bringen ein ganz anderes Geschmacksprofil ins Glas als die Weine aus dem Seewinkel. Das sei auch der Zweck der Übung, verrät Erich, der sich als großer Mittelburgenlandfan outet. Nicht nur Lava formt „Mittelerde“ neu: Die Scheiblhofers errichten in Andau und damit dort, wo sie zu Hause sind, derzeit ein 118 Zimmer-Wellness-Resort auf knapp neun Hektar Fläche. Auch das Gästehaus wird großzügig erweitert, ein neues Bürogebäude wird gebaut und der Dorfheurige zur Gastronomie mit 120 Sitzplätzen und Seminarräumen umgestaltet. Wäre ja auch langweilig, die Hände in den Schoß zu legen und sich auf die Couch zu lümmeln.

 

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FAHNENSCHWINGER WIEDER

Als im 30-jährigen krieg die Neckenmarkter ihrem Grundherren zu Hilfe eilen bedankt sich der fürstlich. unter anderem mit einer Fahne, die noch heute geschwungen wird. Wieders blaufränkischer Fahnenschwinger ist eine Reminiszenz an diese Tradition.

Der Fahnenschwinger

Am Sonntag nach Fronleichnam wird im burgenländischen Neckenmarkt von jungen, ledigen Burschen, gewandet in fesche Lodenuniformen mit schönen Knöpfen darauf, eine besondere Fahne durch den Ort getragen. „Das ist ein großes, schweres Trumm mit gut 30 Kilo. Wenn du die schwenkst, hat sie durch die Hebelwirkung ein Gewicht von 50. Bläst der Wind hinein, wird es noch anstrengender.“ Georg Wieder weiß, wovon er spricht. Der Winzer durfte diese Fahne – denn ja, es gilt als Ehre – 1991 durch Neckenmarkt bugsieren. Warum man sich die Mühe macht und seinen Wein danach benennt? „Ich würde dir das gern so erzählen, wie wir es gelernt haben“, meint Georg, der gemeinsam mit seiner Schwester Burgi mitten im Blaufränkischland ein Familienweingut führt. Nirgendwo auf der Welt wird besagte Sorte so intensiv kultiviert wie hier. Ich mache mit Georg eine Zeitreise mitten hinein in den Dreißigjährigen Krieg. Religiöse Gegensätze, Macht- und Besitzansprüche sowie das Selbstbestimmungsstreben von Fürsten waren die Auslöser für sein Wüten. Dem ungarischen Adeligen Nikolaus Esterházy gehörte damals fast das gesamte Burgenland. Esterházy war, so erfahre ich von Georg, ein Habsburgtreuer und den aufständischen Ungarn ein Dorn im Auge. „Der muss weg“, dachten sich die und nahmen 1620 sein Schloss in Lackenbach in die Zange. Die Neckenmarkter Bürger und Bauern eilten ihren Grundherrn zu Hilfe – wofür sich der fürstlich bedankte: Esterházy schenkte den gesamten Grund, den er in Neckenmarkt besaß, den Einwohnern, außerdem eine Fahne. Und die halten die Burgenländer aufrecht. In die Höhe halten die Neckenmarkter seit einigen Jahren auch Weinflaschen, in die ein Fahnenschwinger geprägt ist – nebst Aufschrift auf dem Etikett.

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WILDWUX GEYERHOF

Ein Wein als Botschafter für Naturschutz in der Landwirtschaft: über den Wildwux im Weingarten freuen sich Laubfrösche, Ziesel und Hirschkäfer, über den im Glas Freunde des grünen Veltliners.

Der Botschafter

Josef Meier ist seit fünf Uhr auf den Beinen. „Es ist irre! Alles wächst grad wie verrückt. Wir kommen mit der Arbeit im Weingarten kaum nach.“ Der Geyerhof in Oberfucha nahe Göttweig ist ein Biobetrieb der ersten Stunde – entstanden im Fahrwasser der aufkommenden Umweltschutzbewegung. Mittlerweile ist man hier Demeter-zertifiziert, arbeitet biodynamisch, hat sich entkoppelt vom Wachstumsgedanken: Man will nicht jedes Jahr größer werden. Und doch wächst der Geyerhof in die Höhe und in die Breite: Über 100 Bäume haben Maria und Josef – bitte keine Witze! – in den letzten Jahren angepflanzt. Eine Straße wird mittlerweile von Linden gesäumt, in den Weingärten stehen Obstbäume mit alten Sorten. Und auch die unter Landwirten unbeliebten Hecken sind ihnen kein Dorn im Auge, vielmehr erwünscht. „Weinbauern konzentrieren sich oft nur auf die Ertragsfläche, das Rundherum wird vergessen. Die Vielfalt der Landschaft ist aber enorm wichtig für ein gesundes Ökosystem.“ Äcker mit Sonnenblumen, Erla Kolben (das ist eine alte Weizensorte), Kürbissen und Hafer, sechs Rinder, acht Bienenvölker: Am Geyerhof findet man weit mehr als den Wein. Die Verlebendigung ihrer Umgebung ist Josef und Maria eine Herzensangelegenheit und hat mit „Wildwux“ auch einen Projektnamen gefunden. Wildwux ist das Naturschutzprojekt der beiden, der Wein ihr Botschafter. „‚Pass auf’, sollen sich die Leute sagen, ‚man kann ja tatsächlich mit kleinen Maßnahmen viel erreichen‘“, sagt Josef. „Als Landwirte haben wir schließlich eine Verantwortung. Wenn jeder Bauer ein paar Bäume und Hecken stehenlassen würde, sähe unsere Landschaft ganz anders aus.

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GRAUPERT MEINKLANG

Bei Meinklang hat man angefangen, aufzuhören: nämlich mit dem schneiden der Reben. darum schauen die auch ein bisschen z´rupft aus, ungekampelt also, meint: Gaupert. wie der Wein schmeckt? Extraktreich!

Ungekampelt, nicht frisiert

„Graupert: Das steht für unfrisiert. Das sagt die Oma zu dir, wenn du nicht gekampelt bist. Verzichtest du im Weingarten auf den Rebschnitt, verhält es sich mit den Reben wie mit den Haaren: Die Triebe winden sich in alle Richtungen.“ Und das tun sie, die Reben von Angela und Werner Michlits. Die Rebe gehöre, so erklärt mir Werner, zu den Lianengewächsen. Wer die Triebspitzen abschneide, reiße die Pflanze, die sich früher an den Bäumen hochgerankt habe und in Richtung Licht gewachsen sei, aus dem natürlichen Kreislauf heraus. Sie in ein Drahtgerüst zu pressen, in eine künstliche Form zu sperren, sei ebenfalls nicht wesensgerecht. Und weil die Michlits’, die gemeinsam mit Werners Brüdern den Demeter-Hof Meinklang im burgenländischen Pamhagen bewirtschaften, da nicht mehr mitmachen wollten, haben sie vor Jahren aufgehört, den Grauburgunder zu traktieren. Viele haben die beiden für verrückt erklärt. Heute hat man sich an den Anblick der grauperten Weingärten, in denen auch Brennnesseln und Disteln, Wicken, Klee und Wildgräser wachsen, gewöhnt. Das Wachstum pendle sich ein, das Innere der Rebe verholze – so Werner. „Das hat den angenehmen Nebeneffekt, dass sich alle Triebe an der Außenseite bilden und du eine Vielzahl an Trauben bekommst.“ Nanu? Ist bei den Trauben nicht gerade weniger mehr? Da wird doch der Ertrag zum Zwecke der Qualitätssteigerung gemeinhin reduziert? „Unsere grauperten Stöcke habe viele, aber sehr kleine Trauben. Das Verhältnis von Saft und Beerenhaut ist also ein anderes als im Weinbau mit konventionellen Reberziehungsformen. Der höhere Anteil an Beerenhaut bringt sehr extraktreiche Weine.“

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MITZI & JAKOBI GROSS & GROSS

Oma Mitzi war eine liebe Frau, der Muskateller soll an sie erinnern. mit Jakobi ist man bei Gross & Gross nicht verwandt: der wird am 25. Juli gefeiert, ist jährlich Startschuss für das Rattern der Klapotetze.

Mitzi und Jakobi

Zwei Winzerbrüder heiraten zwei Schwestern. Die vier leben und arbeiten unter einem Dach, beschließen aber irgendwann, getrennte Wege zu gehen. Weil man sich gernhat, ist da aber der Wunsch, weiterhin gemeinsame Sache(n) zu machen. Gross & Gross wird geboren und damit die Verbindung von Martina & Johannes (Weingut Gross) und Maria & Michael (Vino Gross). „Am 25. Juli ist Jakobi. Ab dann dürfen die für die Südsteiermark so typischen Windräder – die Klapotetz – klappern. Die machen einen Mordslärm! Er soll die Vögel vertreiben, die sich über die weicher werdenden Beeren hermachen.“ Das erzählt mir Michael Gross. Auch, dass der Vogelfraß tatsächlich kein Thema mehr sei in der Südsteiermark und sich der Krach in seinen Ohren wie Musik anhöre. Da wird also viel Lärm um nichts gemacht. Jakobi: So heißt auch der Sauvignon Blanc von Gross & Gross, auf dessen Etikett Symbole des alten Bauernkalenders zu sehen sind. Hagel, Wind, ein Wetterumschwung: Der Kalender erzählt nicht, was passieren wird, sondern die Geschichte des Weins und damit das, was war. Hat Johannes wieder einen Schnaps gebrannt, ist das dort ebenfalls vermerkt. Mitzi: Das war der Spitzname von Michaels und Johannes’ Großmutter. Sehr überlegt sei die gewesen, umsichtig und alle umsorgend. „Für meinen Bruder und mich war sie immer da.“ Mitzi: Das steht auch am Etikett des Gelben Muskatellers. Dort finden sich außerdem Vorhersagen des Hundertjährigen Kalenders – und zwar jene, die für den Jahrgang zutreffen. 2020 war die Ernte exzellent, und dass dank eines meteorologischen Hochs am 4. Oktober: „Viel Sonne an Sankt Franz gibt dem Wein den Glanz.“ Prost!

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BIENEN- FRESSER PITNAUER

Er ist ein bunter Hund, der exotische Bienenfresser, und Wappentier von Pitnauers bestem Zweigelt. der Zugvogel sitzt nicht nur am Etikett. er brütet seit den 1980ern auch in der alten Göttelsbrunner Schottergrube.

Ein bunter Vogel

Türkis, rostbraun, gelb und schwarz: Er ist ein bunter Hund und ein solcher Vogel, kaum zu verwechseln mit anderen Arten in Europa. Er überwintert in Afrika und verbringt den Sommer seit den 1980ern auch im niederösterreichischen Göttlesbrunn: der Bienenfresser. „Als 27 Brutpaare in unsere alte Schottergrube eingezogen sind, war das eine kleine Sensation. Ornithologen und Journalisten aus ganz Europa sind damals zusammengelaufen.“ Johannes Pitnauer, Jahrgang 1985, kennt diese Geschichte nur vom Hörensagen. Der Winzer hat 2018 das Familienweingut übernommen und ist voller Respekt für das, was seine Eltern aufgebaut haben. Als die vor 40 Jahren mit dem Ausbau von Rotwein beginnen, werden sie noch belächelt. Heute ist das ganz anders. Da sei man ein Kollektiv, das immer wieder beweise, wie gut vor allem der Zweigelt in der Region Carnuntum schmeckt. Der steckt auch in der Flasche mit der Aufschrift „Bienenfresser Göttlesbrunner Zweigelt“. „Meine Eltern waren und sind italophil, wollten, so wie das beim Chianti oder beim Barolo der Fall ist, einen Roten vinifizieren, bei dem der Name Programm ist.“ Der Bienenfresser ist exotisch, so wie der Zweigelt in Göttlesbrunn es war. Er ist wärmeliebend und braucht wie der Wein die Lössböden, um dort in Ruhe zu brüten. Der ideale Namensgeber also. 1986 ging der erste Bienenfresser-Jahrgang über den Tresen, inzwischen ist man bei der Nummer 33 angelangt. Von Pitnauers Bienenfresser gibt’s mittlerweile sehr viel mehr als in den Anfangsjahren, von den Vögeln auch. Selbst in der Wachau und am Neusiedler See wurden sie schon gesichtet. „Der Bienenfresser kommt meistens im Mai. Wenn wir im September abfüllen, ist er bereits abgereist.“ 

 

Von Angi Huber (Journalistin und Fotografin in Salzburg)

 

 

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