Einzigartige Weinhauptstadt Wien
Seit zehn Jahren gibt es den Wiener Gemischten Satz als DAC-Wein. Was als „Gentlemen’s Agreement“ begann, erobert nun die Weinszene – auch international.
Seit zehn Jahren gibt es den Wiener Gemischten Satz als DAC-Wein. Was als „Gentlemen’s Agreement“ begann, erobert nun die Weinszene – auch international.
Einer der schönsten Aspekte am Leben in einer Großstadt ist die ständige Möglichkeit, etwas Neues entdecken zu können – auch dann, wenn es bereits alt ist. Zu dieser Erkenntnis gelangte der Autor dieses Artikels kürzlich im Wiener Gemeindebezirk Floridsdorf. Hunderte Male war er bereits die viel befahrene Brünner Straße entlanggefahren, nicht ahnend, dass sich nur wenige Meter von ihr entfernt eine ruhige, schmucke Welt auftut. Wer in die beschauliche Amtsstraße einbiegt, befindet sich im Herzen von Jedlersdorf, wo sich bis heute mehrere Weingüter erhalten haben. „Vor der Regulierung der Donau stand der Ort auf einer Insel inmitten der Donauauen“, erklärt Rainer Christ, „daher haben wir Jedlersdorfer Winzer seit je her unsere Keller und die meisten Weingärten am Bisamberg, also drei Kilometer von hier entfernt“.
Rainer Christ ist ein Gründungsmitglied und derzeitiger Präsident der Winzervereinigung WienWein, die in der Bundeshauptstadt vor einigen Jahren eine Revolution losgetreten hat: Gemeinsam mit Fritz Wieninger (Stammersdorf), Richard Zahel und Michael Edlmoser (beide Mauer) beschloss Christ im Jahr 2006, dem auf den Etiketten quasi ausgestorbenen Gemischten Satz wieder eine Bühne zu geben. Das Gentlemen’s Agreement wurde 2013, also vor genau zehn Jahren, im Rahmen einer DAC-Verordnung zum Weingesetz. Seither ist der Wiener Gemischte Satz „der am strengsten kontrollierte Wein Österreichs“, wie Christ sagt, „weil er der einzige ist, bei dem auch der Anbau kontrolliert wird.“
Was früher völlig normal war, nämlich Weingärten mit unterschiedlichen Rebsorten zu bepflanzen, um alljährlich einen möglichst konstanten Ertrag zu erzielen, stieß unter modernen Weinbauern lange Zeit auf Unverständnis. Da verschiedene Rebsorten einen unterschiedlichen Vegetationsverlauf haben – manche reifen früher, manche später – erscheint die Wahl eines perfekten, gemeinsamen Lesezeitpunkts nämlich als schwierig. Andererseits ermöglicht gerade dieser Umstand oftmals einen individuellen Jahrgangs-Charakter sowie weitere Vorteile, wie unsere „Tour de Wien“ z–eigen wird.
Ein Wiener Gemischter Satz muss zumindest aus drei Rebsorten bestehen, aber im Idealfall sind es mehr, denn bei einem Gemischten Satz geht es laut Christ nicht zuletzt „um einen maximal biodiversifizierten Weingarten, bei dem nicht jeder Rebstock zur gleichen Zeit vom Boden dasselbe benötigt, und in dem respektvoll mit den Ressourcen umgegangen wird. Je bunter der Anbau ist, desto größer ist die natürliche Selbstregulierung und desto geringer ist letztlich das Risiko für Krankheiten.“ Für Christ, der seine Weine nach biologisch-organischen Kriterien anbaut und nicht nachträglich bearbeitet, ist der Gemischte Satz daher „ein Training für die Landwirtschaft der Zukunft“.
Ein einheitliches Geschmacksbild für den Gemischten Satz zu definieren, ist fast ein Ding der Unmöglichkeit. Wenn Rainer Christ einen neuen, gemischten Weingarten anlegt, dann setzt er neben der Hauptsorte Grüner Veltliner vor allem die Burgundersorten Weißburgunder und Chardonnay, aber auch Riesling und Welschriesling sowie kleinere Tranchen von seltener gewordenen Sorten wie Gelber und Roter Traminer, Roter Veltliner und Silvaner. „Jede dieser Sorte zeigt mir am Tag der Lese eine ganz besondere Facette des jeweiligen Bodens, und am Ende kann eine Art Fingerabdruck des jeweiligen Terroirs entstehen. Die Herkunft erfahrbar zu machen, das kann mit einem Gemischten Satz hervorragend gelingen.“
Der Bisamberg mit seinen Trockenrasen auf unterschiedlichen eiszeitlichen Terrassen gilt als eine der artenreichsten Regionen in Mitteleuropa – fast alle in Österreich beheimateten Bienenrassen sind dort anzutreffen, und das innerhalb der Grenzen einer Großstadt! Hauptsächlich auf mineralischen Tonböden ist der – wie alle Christ-Weine histaminarme – Gemischte Satz Bisamberg DAC gewachsen, der dank der 60 Jahre alten Reben und durch einen behutsamen Holzeinsatz eine schöne Würze und viel Struktur aufweist.
Nur drei Kilometer Luftlinie sind es zum Nussberg auf der anderen Donau-Uferseite, dennoch weisen die Gewächse vom Bisamberg tendenziell einen beschwingteren, kristallineren Charakter auf. Das ist auch der Grund, weshalb das Weingut Cobenzl, das über den Döblinger Weinbergen thront, die Trauben für seinen fruchtig-frischen Gemischten Satz DAC hauptsächlich auf der „transdanubischen“ Seite am Bisamberg erntet. Die komplexeren Lagenweine des Weinguts Cobenzl stammen hingegen allesamt von den Weinbergen auf der rechten Donauufer-Seite, von denen der Nussberg die bekannteste Großlage ist. Der Nussberg ist eigentlich kein Berg, sondern ein prähistorisches Korallenriff, durch dessen Kalkanteil die Cobenzler Lagenweine eine leicht salzige Note aufweisen. Während in den Gemischten Sätzen des Weinguts Cobenzl auf der Bisamberger Seite der Grüne Veltliner den Rebosortenspiegel anführt, dominieren auf der Döblinger Seite Chardonnay und Weißburgunder.
Der Wiener Gemischte Satz, der seit 2008 als erster österreichischer DAC als „Slow Food“ zertifiziert ist, ist mittlerweile die mit Abstand wichtigste Anbauform in Wien. Als Indiz für den Erfolg des Wiener Weins kann durchaus gewertet werden, dass Alex Zahel beruflich gerade durch Japan reist, während wir sein Weingut in Mauer besuchen. Dort, im Süden Wiens, präsentiert sich das Terroir wieder ganz anders, was man im vielschichtigen Zahel Gemischten Satz DAC schmecken kann. Der Vertriebsleiter Lars Lackner-Petz nennt ihn den „Village-Wein“, also den Gebietswein des Hauses. „Unsere Böden aus Dolomitkalk und Flysch-Sandstein eignen sich sowohl für eine frischfruchtige als auch für tiefgründige Weine mit langlebiger Struktur“, so Lackner-Petz über die Maurer Weingärten. Auch im Demeter-Weingut Zahel spielt die Biodiversität eine wichtige Rolle, wovon auch der Schmetterling auf den meisten Zahel-Etiketten zeugt.
Bereits 40 Prozent der Wiener Weingärten bestehen aus Gemischten Sätzen, die Tendenz ist steigend. In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass nur ein Wiener Gemischter Satz DAC einen „echten“ Gemischten Satz garantiert, denn außerhalb von Wien dürfen theoretisch auch Cuvees aus reinsortigen Gärten als „Gemischter Satz“ verkauft werden – was freilich an der Idee dieser Anbauform völlig vorbeigeht. Wer gut sucht, der findet echte Gemischte Sätze übrigens auch in anderen Ländern, beispielsweise im Elsass und v.a. als Rotwein in Portugal oder als sogenannte „field blends“ in Kalifornien. Kein Wunder, dass die Wiener Winzer mittlerweile Anfragen aus allen Ecken der Weinwelt erreichen. „Wir werden demnächst einen Leitfaden erstellen, in dem wir die Vorzüge des Gemischten Satzes darlegen werden“, kündigt Rainer Christ an – gut möglich, dass aus einer Wiener Idee bald eine internationale Bewegung werden wird.
Zitat von Thomas Podsednik, Weingut Cobenzl: „Der Gemischte Satz ist kein Solist sondern ein Orchester, bei dem viele Rebsorten mitspielen und das Erntejahr widerspiegeln.“
Der Wiener Gemischte Satz DAC muss zumindest aus drei Rebsorten bestehen, wobei die Hauptrebsorte nicht mehr als 50 Prozent ausmachen darf und die dritte zumindest zehn Prozent ausmachen muss. Im Gegensatz zu einer Cuvée treffen sich diese Rebsorten nicht erst im Weinkeller, sondern kennen einander bereits aus dem Weingarten. Trauben aus reinsortigen Weingärten sind im Gemischten Satz nicht zugelassen.
Wiener Heurigentipps + Hinweis Winzertalk Seite 3
Weingut Christ (Jedlersdorf): im Juli und September täglich geöffnet // www.weingut-christ.at
Weingut Zahel (Mauer): 5.-22. Juli, 2.-19. August, 4.-21. September, jeweils Montag bis Samstag // www.zahel.at/heuriger
Weingut Cobenzl (Grinzing/Cobenzl): „Genuss am Cobenzl“ nennt das Weingut seine Open-Air-Ausschank in der Ried Reisenberg, geöffnet bis Ende Oktober von Freitag bis Sonntag. www.weingutcobenzl.at
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